Erweiterungsbau DDR-Typen-Schule in Boizenburg – Architektur im Dialog mit Kunst und Raum

Die Rudolf-Tarnow-Schule in Boizenburg ist ein prägnantes Beispiel für die Schularchitektur der DDR. Als Bau des „Typ Schwerin“ zeichnet sie sich durch ihre H-Form und eine klare, funktionale Formensprache aus, die auf die Bedürfnisse einer damaligen Lern- und Lehrkultur zugeschnitten war. Die Schule wurde nicht nur als Ort des Wissens, sondern auch als gesellschaftlicher Ankerpunkt verstanden.

Ein zentrales Element des Bestandsgebäudes ist das unter Denkmalschutz stehende Fliesenbild „Manches Herrliche der Welt…“ von Lothar Scholz. Mit seiner beeindruckenden Größe von 13 x 8 Metern bildet das Kunstwerk einen visuellen wie auch ideellen Mittelpunkt der Schule. Es wurde 1971 geschaffen und spiegelt die handwerkliche Perfektion und künstlerische Ausdruckskraft wider, für die Scholz bekannt war. Die Inschrift – ein Zitat von Goethe – ruft zur Bewahrung und Wertschätzung dessen auf, was von Wert und Bedeutung ist:
„Manches Herrliche der Welt ist in Krieg und Streit zerronnen, wer beschützet und erhält, hat das schönste Los gewonnen.“

Diese Mahnung und Inspiration war Leitmotiv unseres Entwurfs: Wie kann eine Erweiterung entstehen, die den Bestand respektiert und gleichzeitig zukunftsweisende Impulse setzt?

Kunst als Leitmotiv Kunst und Architektur als Bildungsauftrag

Die Verbindung von Architektur und Kunst ist ein Leitgedanke unseres Entwurfs. Der Erweiterungsbau bietet nicht nur neue Räume für die pädagogische Nutzung, sondern schafft durch großzügige, lichtdurchflutete Bereiche eine Atmosphäre, die das Lernen fördert und die Identität der Schule stärkt. Räume der Begegnung – innen wie außen – unterstützen die Schüler und Schülerinnen sowie die Lehrenden dabei, die Schule als Lebens- und Lernraum zu begreifen.

Mit der Gestaltung des Erweiterungsbaus schlagen wir eine Brücke zwischen der künstlerischen Aussage des Fliesenbildes und der neuen architektonischen Intervention. Die bildnerischen Elemente von Lothar Scholz wurden neu interpretiert und in abstrahierter Form in die Architektur des Neubaus integriert.

Diese künstlerische Auseinandersetzung prägt den Erweiterungsbau sowohl im Inneren als auch im Äußeren: Treppenhäuser und ein zentraler Lernflur werden durch abstrahierte Fliesenbilder belebt, die das Motiv des Originalkunstwerks aufgreifen und in einem neuen Kontext erfahrbar machen.

Raumhohe Verglasungen im Obergeschoss bieten gezielte Einblicke in die Treppenhäuser und lassen die Kunstwerke aus ungewohnten Perspektiven erleben. Dieser Dialog zwischen Räumen und Kunst fördert Neugier und regt zur Auseinandersetzung an.

Der Erweiterungsbau – eine zeitgemäße Ergänzung

Unser Entwurf nimmt die rational, sachliche Formsprache des historischen Gebäudes auf, ohne sie zu replizieren. Die neue Baukörperkonfiguration schafft es, sich zurückhaltend in die Struktur einzufügen und dabei eigenständig zu bleiben. Sichtachsen, Materialwahl und Proportionen fördern den Dialog zwischen Bestand und Erweiterung. Die historischen Bezüge werden durch eine moderne Architektursprache interpretiert, die den Bildungsauftrag der Schule in eine neue Zeit transportiert.

Das Fliesenbild von Lothar Scholz bleibt dabei das Herzstück des Ensembles. Der Erweiterungsbau tritt bewusst in den Hintergrund, um den künstlerischen und kulturellen Wert des Kunstwerks zu betonen. Gleichzeitig wird das Bild in den alltäglichen Schulbetrieb integriert und so lebendig gehalten.

Ein neuer Raum für Begegnung und Aufenthaltsqualität

Die besondere Herausforderung des Projekts lag in der Integration des Erweiterungsbaus in das begrenzte Grundstück und die bestehenden Strukturen. Der Pausenhof der Schule war bisher vollständig versiegelt, ohne Verschattung und frei von Aufenthaltsqualität. Der Neubau begegnet diesen Bedingungen durch eine bereits frühzeitig im Realisierungswettbewerb angestrebte Lösung:
Zwei Drittel des Bauvolumens überspannen den Pausenhof und schaffen durch ihre scheinbar wahllos und schräg angeordneten Stützen eine geschützte, überdachte Fläche. Dieser Raum lädt zur Begegnung ein und fungiert als neues Zentrum des Außenbereichs.

Begleitet wird der Baukörper von einer Freiflächenplanung, die die starre Monotonie des Bestands durchbricht. Grünflächen und Gehölzanpflanzungen strukturieren den Außenraum neu und schaffen einen lebendigen Kontrast zur strengen Geometrie der Bestandsgebäude.

Im zweiten Bauabschnitt wird der Bestandsschulbau um einen Aufzug ergänzt, der den vollumfänglichen barrierefreien Zugang zur gesamten Schule perspektivisch sicherstellt. Dieser Schritt ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Inklusion, sondern auch Ausdruck eines zukunftsorientierten Planungsansatzes, der alle Nutzer:innen der Schule in den Mittelpunkt stellt.

Nachhaltigkeit als Selbstverständnis

Der Erweiterungsbau versteht sich als Beitrag zu einer zukunftsfähigen, ressourcenschonenden Architektur: Wir respektieren den Bestand und erweitern ihn behutsam ohne Abriss.
Energieeffizienz, die Verwendung regionaler Materialien sowie flexible Raumstrukturen, die an sich wandelnde pädagogische Konzepte angepasst werden können, waren zentrale Aspekte der Planung.

Ein Ort, der verbindet

Mit der Erweiterung der Rudolf-Tarnow-Schule entsteht ein Ort, der Vergangenes bewahrt und gleichzeitig einen Blick in die Zukunft wagt. Das ursprüngliche Fliesenbild bleibt als denkmalgeschütztes Werk erhalten, während die abstrahierten Neuinterpretationen im Erweiterungsbau die künstlerische Idee von Lothar Scholz in die Gegenwart überführen.

Die Architektur schafft so eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Bestand und Erweiterung, zwischen Kunst und Raum. Der Neubau wird zu einem lebendigen Teil des Schulalltags und trägt dazu bei, die Identität der Schule weiterzuentwickeln – als Ort der Begegnung, des Lernens und der Inspiration.

Wir freuen uns, mit unserem Beitrag zur Erweiterung der Rudolf-Tarnow-Schule diesen Gedanken weiterzutragen und einen Ort zu schaffen, der Bildung, Gemeinschaft und Kultur in den Mittelpunkt stellt.

Nutzungsaufnahme des Erweiterungsbaus nach Zeitplan

Gemeinsam mit der Stadt Boizenburg und der Schulleitung freuen wir uns darauf, den Erweiterungsbau nach den Winterferien in etwas mehr als 3 Wochen der Schule zu übergeben und in Nutzung zu bringen.
Die letzten Arbeiten und Vorbereitungen für den Umzug laufen.

Sohn der Stadt – Lothar Scholz

Lothar Scholz (1935–2015), geboren in Boizenburg, prägte mit seinem außergewöhnlichen Talent und unermüdlichen Schaffensdrang die Kunst der Baukeramik und Fliesenmalerei in der DDR und darüber hinaus. Bereits in jungen Jahren verfolgte er zielstrebig seinen Traum, Kunstmaler zu werden. Nach einer Lehre als Keramformer in der Wand- und Bodenplattenfabrik Boizenburg begann er sein Studium an der Fachschule für angewandte Kunst Wismar, das er später an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee fortsetzte. Als Diplombaukeramiker etablierte Scholz 1958 eine Abteilung für Mosaik und Baugestaltung im VEB Fliesen- und Ofenbau Berlin, bevor er 1967 sein eigenes Atelier mit keramischen Werkstätten in Berlin-Lichtenberg gründete.

In seinem beeindruckenden Lebenswerk hat Lothar Scholz an rund 600 Bauprojekten mitgewirkt – von großflächigen Wandgestaltungen über künstlerische Brunnen bis hin zu Fliesenmalereien, die in ihrer Brillanz und Präzision unverkennbar sind. Zu seinen herausragenden Arbeiten zählen die größten Außenwandbilder Europas in Halle-Neustadt, die zwischen 1969 und 1975 entstanden. Neben seiner eigenen Schaffenskraft setzte Scholz auch die Entwürfe befreundeter Künstlerkollegen meisterhaft um und brachte sie zur Vollendung. Nach der Wende widmete er sich verstärkt denkmalpflegerischen Projekten, wobei er seine unerschöpfliche Leidenschaft für Keramik und die künstlerische Arbeit mit Farbe, Form und Glasur beibehielt. Seine Tochter Loren Scholz und der Kollege Wolfgang Naujoks waren wichtige Weggefährten, die seine Visionen mitgestalteten.

Lothar Scholz verstand es, aus den Elementen Ton und Feuer großartige Kunstwerke zu schaffen, die Architektur und Kunst in einen einzigartigen Dialog brachten. Mit seinen farbintensiven und brillanten Fliesenbildern schuf er „flächige Kleinode“, die bis heute bleibenden Eindruck hinterlassen. Sein Vermächtnis lebt in den zahlreichen Werken weiter, die nicht nur Gebäude schmücken, sondern Räume mit künstlerischem Leben erfüllen.

Erstes Deutsches Fliesenmuseum Boizenburg

Das Fliesenmuseum Boizenburg lädt Besucher ein, in die faszinierende Welt der Fliesenkunst einzutauchen. Inmitten der Altstadt gelegen, präsentiert das Museum eine beeindruckende Sammlung von Fliesen aus dem Historismus, Jugendstil und Art déco sowie niederländische Schmuckfliesen aus vier Jahrhunderten. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der industriell gefertigten Fliese, mit einem Fokus auf die Fliesen aus der 1903 in Boizenburg gegründeten Plattenfabrik. Das Museum würdigt das Lebenswerk des Ausnahmekünstlers Lothar Scholz, Mitbegründer des Fliesenmuseums, mit einer Ausstellung, die sein vielfältiges Schaffen als Kunstkeramiker und Kunstmaler präsentiert. Ergänzt wird das Angebot durch eine Fachbibliothek und eine jährlich stattfindende Fliesenbörse. Das Museum wird ehrenamtlich vom Träger- und Förderverein „Erstes Deutsches Fliesenmuseum Boizenburg e.V.“ geführt und bietet einen tiefen Einblick in die künstlerische und technische Welt der Fliesen.

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